Land NRW akzeptiert Urteil im Nenad-Prozess; Festlegung der Entschädigung steht noch aus

Elternverein mittendrin e.V. fordert von Schulministerin Gebauer Überprüfungen von Sonderschulen

Der die Inklusiven e. V. begrüßt die Einsicht des Landes NRW und die Akzeptanz des Urteils, mit dem es sich dazu bereit erklärt, Nenad M. in noch festzulegender Höhe zu entschädigen.

„Wir freuen uns für Nenad, dass er sich mit dieser Klage ein Stück seiner Würde zurückholen kann und hoffen, dass die Schadensersatz-Summe angesichts der verbauten Lebenschancen angemessen ausfällt.“ so Romy Suhr, Vorsitzende des die Inklusiven e. V. Bielefeld/ OWL.

Der in Bielefeld ansässige Elternverein, der sich für die menschenrechtskonforme Umsetzung von Inklusion einsetzt, unterstützt die Forderung des mittendrin e. V. zur Überprüfung Sonderpädagogischer Diagnosen durch eine unabhängige Kommission.

„Transparenz, auch im sonderpädagogischen Einrichtungen, ist längst überfällig.“ erklärt Suhr weiter.

Denn nur dadurch kann verhindert werden, das weiteren Kindern durch Zuschreibungen nicht vorhandener Behinderungen ihr Recht auf individuelle Förderung verwehrt wird.

Nur richtige Diagnosen in Form von richtigen „Förderschwerpunkten“ können zu richtigen „Individuellen Förderplänen“ führen und damit zu einer angemessenen Förderung und guten Berufschancen.

Eine entsprechende Aufklärungs-Initiative durch das Schulministerium würde dazu beitragen, dass Eltern nicht weiter annehmen, die einzige Möglichkeit für ihr individuelles Kind sei die Sonderschule, und dafür müssten sie eben falsche Diagnosen billigend in Kauf nehmen.

Schließlich gilt seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland (2009) der Grundsatz, „angemessene Vorkehrungen“ am richtigen „Förderort“ herzustellen, nicht wegen kritikwürdiger Bedingungen am richtigen Förderort an den falschen „Förderort“ auszuweichen.

mittendrin e.V.

PRESSEMITTEILUNG

Urteil rechtskräftig: Land NRW muss ehemaligen Sonderschüler entschädigen

Elternverein fordert, nun endlich die Sonderschulen auf ähnliche Fälle zu überprüfen

Köln, 23.08.2018

Erstmals muss ein Bundesland einem ehemaligen Sonderschüler Schadenersatz und gegebenenfalls Schmerzensgeld zahlen. Das entsprechende Grundurteil hatte der Kläger Nenad M. schon am 18. Juli vor dem Landgericht Köln erstritten (AZ 5 O 182/16). Die Kammer hatte in ihrem Urteil festgestellt, dass die Sonderschullehrer mit der jahrelang immer wieder erneuerten falschen Einstufung des Schülers in den Förderschwerpunkt "Geistige Entwicklung" und mit dem Festhalten des Jungen auf der Sonderschule "Geistige Entwicklung" erheblich gegen ihre Amtspflichten verstoßen haben. Heute verlautete aus der zuständigen Bezirksregierung Köln, dass das Land NRW auf eine Berufung gegen das Urteil vor dem Oberlandesgericht verzichtet und damit die Zahlung von Schadenersatz und ggf Schmerzensgeld akzeptiert.

Die Anwältin des Klägers, Anneliese Quack, reagierte überrascht und erfreut: "Offenbar hat das Land angesichts des sehr klaren Urteils des Landgerichts Köln davon abgesehen, den Kläger in die nächste Instanz zu zerren". Die Anwältin hält das nun rechtskräftige Urteil für wegweisend: "Damit steht eindeutig fest, dass eine falsche Einstufung von Kindern und Jugendlichen in sonderpädagogische Förderschwerpunkte und eine entsprechend falsche Beschulung eine Amtspflichtverletzung darstellt und damit schadenersatzpflichtig ist. Die Förderschullehrer können nicht mehr machen was sie wollen". In Quacks Kanzlei sind bereits Anfragen weiterer Betroffener eingegangen, die sich von Sonderpädagogen falsch eingestuft sehen. Das hat vor allem dramatische Folgen für die Lernchancen der Kinder und Jugendlichen, wenn sie in einen niedrigeren Bildungsgang "Lernen" oder "Geistige Entwicklung" zugeordnet werden. Es bedeutet unausweichlich eine erhebliche Reduzierung des Lernstoffs und der Möglichkeiten Schulabschlüsse zu erwerben.

Der Elternverein mittendrin e.V., der Nenad M. aus der Sonderschule herausgeholfen und ihn bei der Klage unterstützt hat, fordert Schulministerin Yvonne Gebauer erneut auf, aus dem Fall endlich Konsequenzen zu ziehen. Wie die Anwältin hat auch der Elternverein aus Anfragen Betroffener und aus Beobachtungen deutliche Anhaltspunkte dafür, dass Nenad M. kein Einzelfall ist und an den Sonderschulen eine unbekannten Zahl weiterer Jugendlicher Bildungsmöglichkeiten vorenthalten werden. Dies betreffe zum Beispiel Kinder aus schwierigen Verhältnissen, aus Zuwandererfamilien und geflüchtete Jugendliche.

Die Lehrer an Nenads Kölner Sonderschule hatten die Kriterien des NRW-Schulrechts für einen Besuch ihrer Schule offenbar aus den Augen verloren und statt dessen aus persönlichem Ermessen entschieden, dass der Junge an der Geistigbehindertenschule "besser aufgehoben" sei. Diese Redewendung begegne dem Verein in seiner Elternberatung sehr oft. "Es muss eine unabhängige Kommission eingesetzt werden, die vor Ort in den Sonderschulen überprüft, ob die Schülerinnen und Schüler dort überhaupt unterrichtet werden dürfen", fordert die mittendrin-Vorsitzende Eva-Maria Thoms. Es sei Verantwortung der Schulministerin, dass betroffene Kinder und Jugendliche in vergleichbaren Situationen jetzt nicht mehr allein gelassen werden.

Das Verfahren Nenad M. gegen das Land NRW ist mit der Rechtskraft des Grundurteils noch nicht beendet. Die Höhe des zu zahlenden Schadenersatzes muss noch geklärt werden.

Nenad M. hatte insgesamt fast 11 Jahre auf Sonderschulen verbracht, davon 6 Jahre auf der Kölner Förderschule Auf dem Sandberg. Erst kurz vor seinem 18, Geburtstag gelang ihm mit Hilfe des Rom e.V. und des mittendrin e.V. der Wechsel an ein Berufskolleg, an dem er mit Bestnoten seinen Hauptschulabschluss nachholte. Im Jahr 2016 erhob er Schadenersatz-Klage gegen das Land NRW.