Unsere Stellungnahme zum Nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) als Krankenkassenleistung und den dazu entwickelten Informationsmaterialien.

Selbstbestimmte Entscheidungen durch einseitige bis tendenziöse Information?

Stellungnahme allgemein

die Inklusiven e.V.
29.05.2020

Stellungnahme zur Versicherteninformation des IQWiG zum Nichtinvasiven Pränataltest (NIPT)

Der die Inklusiven e.V. nimmt zum allgemeinen Eindruck Stellung, den der Bericht in Bezug auf Studien-Design (Auswahl an Studien, Testpersonen ect.) und das erstellte Informationsmaterial selbst hinterlassen hat.

Die abgegebene Stellungnahme bedeutet nicht, dass wir mit der Zulassung des (NIPT) als Krankenkassenleistung einverstanden sind.

Genauere Informationen zu einzelnen Textstellen finden sich im Anhang.

Als Hauptkritikpunkt der Versicherteninformation (und auch schon der vorangegangenen Prozesse) sehen wir die Nichteinbeziehung von Menschen mit Trisomien und deren Angehörigen bei der Erstellung der Versicherteninformation und deren Usability-Testung.

Das schlägt sich sowohl in einseitiger Information nieder als auch im Wording:

  1. Lebenswirklichkeiten von Familien kommen nicht aus erster Hand vor, sondern durch die Brille veralteter (medizinischer) Betrachtungsweisen Nichtbetroffener. Letztere werden jedoch trotz mangelndem Erfahrungswissen als „Experten“ bezeichnet. Hier werden alte Machtstrukturen von Deutungshoheit zugelassen, die nicht mit der UN-BRK vereinbar sind. Das Credo der UN-BRK „Nicht über uns ohne uns!“ wird missachtet.
    Wir vermissen konkret positive Bilder von Familien und Kindern, die ein Kind bejahen, egal, mit welchen Merkmalen es auf die Welt kommt.
    Die guten Entwicklungschancen von z.B. Menschen mit Trisomie 21, bei aktiver Einbeziehung in die Community und über Zutrauen durch ein aufgeklärtes Umfeld wird nicht herausgearbeitet.
     
  2. Dass der NIPT beim Befund „Trisomie“ dann doch zur Abklärung eines invasiven Eingriffs bedarf, wird in den Informationen nicht explizit herausgestrichen. Auch die Risiken von Fehldiagnosen und ihrer Konsequenzen fehlt, genauso wie die Verantwortungsübernahme für die psychosozialen Folgen einer der beiden Handlungsoptionen, die sich aus dem Test ergeben: einer Abtreibung.
    Es wird nicht deutlich herausgestellt, dass der Test kein therapeutisches Ziel erfüllt (was seine Zulassung als Krankenkassenleistung infrage stellt).
     
  3. Die Berichtsunterlagen und die Patienteninformation enthalten diskriminierendes Wording, das entweder dem medizinischen Blick oder veralteter bzw. unreflektierter Wortwahl geschuldet ist. So ist ohne weitere Definition von „Auffälligkeiten“ und „Risiko“ die Rede. In Verbindung mit Trisomie 21 wird bewertend von „unterschiedlich ‚schwer‘ ausgeprägt“ gesprochen. An anderer Stelle heißt es: Probanden werden „selektiert“. Es erfolgen subtile Suggestionen, wenn z.B. von „Fehlbildungen“ und „Krankheit“ im Zusammenhang mit Trisomie 21 gesprochen wird. Das grenzt sogar an Angst erzeugende Falschinformation - mit dem Ziel, Schwangere pro Test zu bewegen. Das halten wir für tendenziös und unseriös.
    Die Auswahl der beauftragten Marketingagentur mit Namen „Hopp“ (Implikation: „Ex und Hopp“) und deren prominente Logo-Platzierung verleiht dem Ganzen dann noch obendrein eine die betroffenen Familien verhöhnende Note.

Darüber hinaus stehen unserer Meinung nach Kosten (Aufwand, Verunsicherung, Psychische Folgen einer Abtreibung und deren Behandlungsbedarfe, Beratungskosten, gesellschaftliche Folgen ect.) in keinem bzw. zweifelhaften Verhältnis zum Nutzen des Bluttests und der mit ihm verbundenen Versicherteninformation (keine Therapieoptionen, einzige Option Abtreibung ja/ nein, keine Sicherheit).
Bezogen auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen sehen wir eher einen großen Schaden.
Wir befürchten durch die öffentliche Legitimierung einen wachsenden gesellschaftlichen Druck, Behinderung als Teil menschlicher Vielfalt zu eliminieren. Wenn die ethische Verantwortung dergestalt auf die einzelne Schwangere verlagert wird, wird diese dem Druck immer weniger standhalten können.

Nicht zuletzt halten wir das Untersuchungsdesign für überprüfungsnotwendig. Anders als z.B. bei inklusiver Beschulung, für die umfangreiche internationale Forschungsergebnisse zum x-ten Mal für deutsche Umfeldbedingungen überprüft und untersucht werden mussten/ müssen – wurde bei den Recherchen zum Informationsbedürfnis von Schwangeren/ Paaren komplett auf deutsche Studien verzichtet.
Und das, obwohl das Ergebnis dann von deutschen Paaren/ Schwangeren geprüft und von diesen ein über die Studien-Rechercheergebnisse hinausgehendes Informationsbedürfnis kommuniziert wurde.
Auch sehen wir die Auswahl an 26 Personen als Tester (1 klinischer Experte, 15 beratende Institutionen, 10 Paare), deren Erfahrungswerte mit Behinderung noch dazu nicht Teil der Erhebung waren, weder quantitativ noch qualitativ als repräsentativ an.
Es fehlt eine interdisziplinäre Perspektive: Ein Thema wie dieses kann nicht allein aus medizinischer Perspektive, noch dazu von Nichtbetroffenen, beurteilt und entschieden werden. (→ Analogie zum Rechtsstreit um CI-Implantate bei Kindern: Aus der Perspektive des Hörenden wird „Hören“ als Kindeswohl definiert, obwohl seit vielen Jahren, Gehörlose mit Gebärdensprache in liebevollen Familien aufwachsen und sich gut entwickeln.)

Es zeigt sich zudem, dass eine arbeitsteilig segmentiert durchgeführte (auch im Sinne von Verantwortung) Bearbeitung ethischer Fragen zu einem diskriminierenden Endprodukt führen kann – der vorliegenden Versicherteninformations-Broschüre und dem Flyer.

Wir vermissen viele rechtliche Aspekte rund um das Thema NIPT, z.B., was den Schutz genetischer Daten Ungeborener angeht, aber auch kritische Tangierungsbereiche mit z.B. den gesetzlichen Regelungen des Embryonenschutzgesetzes, des § 218 und § 219. Letztere haben eine Schwangerschaftsaustragung zum Ziel, fokussieren auf das Recht des Ungeborenen auf Leben und ein (Werbe)-Verbot für Schwangerschaftsabbrüche. Die Vermarktung des NIPT als Produkt sehen wir in die letztere Kategorie fallend.
Auch der Art. 3 GG wird tangiert, denn danach darf niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden, genauso wenig wie für sein Geschlecht.

Dass überhaupt diese Versicherteninformation erstellt wird, zeigt die Notwendigkeit einer grundsätzlichen ethisch-rechtlichen Debatte: Denn wo fangen wir an, wo hören wir auf, bei der Definition von Abweichungen, gewollten/ ungewollten genetischen Merkmalen, wenn Trisomie 21 per se schon - inkorrekt - als „Erkrankung“ und „Fehlbildung“ bezeichnet wird, um die Vermarktung eines Gentests zu promoten.
Wollen wir bis den letzten privaten Lebensbereich – die Schwangerschaft – durchkontrollieren, problematisieren, Verunsicherung schaffen?
Welchen Umgang erwarten wir mit uns, wenn wir eine Behinderung im Laufe des Lebens erwerben?
Diese Fragen wirft die Beschäftigung mit dem Gentest NIPT bei Trisomien auf und sollte zum Anlass genommen werden, eindeutig Werte wie Vielfalt, Schutz von Leben und von natürlichen Lebensräumen gesetzlich festzuschreiben.

Romy Suhr

1.Vorsitzende
die Inklusiven e.V. Bielefeld/ OWL